GB_04.2023

14 04 / 2023 Hier kommt es nun zu einer weiteren Beweiserleichterung, da bei der Gebäudehaftung aufgrund einer gesetzlichen Vermutungswirkung automatisch vom Verschulden des Schädigers bzw. der Schädigerin ausgegangen wird. Das heißt, aufgrund des Gesetzes wird zunächst davon ausgegangen, dass der/die Gerüstbauer*in bei Errichtung des Gerüstes nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt hat walten lassen. Es ist dann erneut seine/ihre Aufgabe, diese Vermutung zu widerlegen, siehe § 836 Abs. 1 S. 2 BGB. Dies erfordert den Nachweis, dass alle zumutbaren Maßnahmen unternommen wurden, die aus technischer Sicht geboten und geeignet sind, um die sichere Verwendung des Gerüstes zu gewährleisten und dadurch die Gefahr des Gerüsteinsturzes oder des Ablösens von Teilen zu verhindern. Ebenso kann der Schädiger bzw. die Schädigerin das vermutete Verschulden widerlegen, indem er/sie nachweist, dass der Unfall auch bei aller gebotenen Sorgfalt eingetreten wäre. Eine wichtige Rolle kommt bei der Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den allgemein anerkannten Regeln der Technik, also hier insbesondere den technischen Normen (z. B. DIN EN 12811-1, DIN 4420-1, Abschnitte 0 bis 3 DIN 18451) sowie den Unfallverhütungsvorschriften zu. Denn ein feststellbarer Verstoß gegen geltende Vorschriften indiziert nach der Rechtsprechung ein fahrlässiges Verhalten des/der Verantwortlichen. Der/die betroffene Gerüstbauer*in sollte deshalb alles daransetzen, um nachzuweisen, dass das Gerüst entsprechend den technischen und sicherheitsrechtlichen Vorschriften erstellt wurde. Im Schadensersatzprozess gehört dazu ein detaillierter Vortrag, welche Vorschriften in dem betroffenen Bereich einschlägig waren, durch welche konkreten Maßnahmen sie erfüllt wurden und wodurch dies nachgewiesen wird. Gelingt der Nachweis nicht, weil ein Verstoß unstrittig vorliegt oder die Vermutung nicht widerlegt werden kann, bleibt nur noch die Argumentation, dass der Unfall auch bei Beachtung der maßgeblichen Vorschriften unverändert eingetreten wäre und somit für den Verletzungs- beziehungsweise Schadenserfolg nicht ursächlich gewesen ist. Dies zu beweisen, wird aber nicht immer einfach sein. Rechtsfolge des Gebäudehaftungsanspruchs ist der Ersatz des entstandenen Schadens, was vom Ersatz einfacher Sach-, Körper- und Gesundheitsschäden (insbesondere auch Schmerzensgeld) sowie eines Erwerbsausfalls bis hin zu Hinterbliebenenzahlungen reicht. Fazit: Die Gebäudehaftung stellt für Unternehmer*innen aufgrund der beschriebenen Anscheins- und Vermutungswirkungen eine Herausforderung dar, da sie im Zweifel nachweisen müssen, dass das Gerüst fehlerfrei erstellt wurde und/oder andere Ursachen zum Schadenseintritt geführt haben. Empfehlenswert sind daher neben der unabdingbaren technisch fehlerfreien Gerüstmontage beweissichernde Präventivmaßnahmen, um einen möglichen Verschuldensvorwurf im Ernstfall entkräften zu können. Besondere Aufmerksamkeit sollte hierbei im Vorfeld Risikofaktoren geschenkt werden, die ein besonderes Haftungspotenzial mit sich bringen. So sollten im Auf- oder Umbau befindliche Gerüste stets mit Warnhinweisen versehen und gesichert werden. Dasselbe gilt für Zugangsbereiche in den untersten Lagen, sofern nicht bereits ausreichende bauseitige Sicherungsmaßnahmen bestehen. Die Rechtsprechung lässt hier hochgeklappte Steigleitern in Kombination mit „Flatterband“ ausreichen. Holzbeläge sollten regelmäßig Sicht- und Belastungskontrollen unterzogen werden, um verschleißbedingtem Materialversagen so gut es geht vorzubeugen. Kommt es tatsächlich zum Haftungsfall, spielt die Dokumentation der betrieblichen Abläufe oft eine zentrale Rolle in der Beweisführung. Selbst eine vorbildliche Gerüstkonstruktion nützt nichts, wenn sie nicht anhand objektiver Nachweise belegt werden kann. Von Vorteil ist hier ein möglichst detaillierter Plan für den Gebrauch (Kennzeichnung), der auch in der Freigabeerklärung an den/die Auftraggeber*in Erwähnung finden sollte, außerdem aussagekräftige Bildaufnahmen des Gerüstes nach dessen Erstellung/Umbau, Aufzeichnungen über gebotene Prüfungen und Wartungen sowie Mitteilungen an den/die Auftraggeber*in samt Unterlassungsaufforderung, falls es zu unrechtmäßigen Veränderungen an Gerüsten gekommen ist. RECHT Kanzlei Barth Am Kabellager 11 • D-51063 Köln Tel. +49 221 650 877 30 info@barth-kanzlei.de • www.barth-kanzlei.de Rechtsanwalt Tobias Barth betreibt in Köln eine Kanzlei, die auf privates Baurecht spezialisiert ist. Er war zuvor als Syndikusrechtsanwalt der Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk tätig. Neben der außergerichtlichen und gerichtlichen Beratung bietet die Kanzlei Barth Gerüstbauunternehmen auch Maßnahmen der betrieblichen Optimierung, beispielsweise in den Bereichen AGB, Arbeitsschutz und Nachunternehmereinsatz.

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